Capodrama
Capodrama

Symbolspiel und Surplus Reality im Capodrama

In kindzentrierten Capoeira-Angeboten erlebe ich häufig Kinder mit erheblichem Entwicklungs- und Förderbedarf. Diese Kinder scheinen verborgene Emotionen und Blockaden zu haben, die sie in ihrer sozialen Interaktion einschränken. Ihr Drang nach Bewegung ist umso größer.

Im Capodrama werden Erlebnisräume geschaffen. Darin können Emotionen und Spannungen über den Körper freigesetzt und Spontanität und Kreativität entwickelt werden. Die Kinder und Jugendlichen haben die Möglichkeit, „Kampfhandlungen“ zu vollziehen und Aggression in einem strukturellen Rahmen auszuleben, ohne körperliche Gewalt anzuwenden und sich oder andere zu verletzten. Dies kann zu kathartischen Erfahrungen in der eins-zu-eins-Interaktion oder in den Gruppenspielen führen. In Zwischenfeedbacks (sharing) können diese Erfahrungen durch die Anwendung psychodramatischer Gesprächstechniken und im Sinne einer Integrationskatharsis bewusst gemacht werden.

Die Impulskontrolle, sozial und motorisch, ist dabei hoch, die soziale Grenzeinhaltung wird von Stunde zu Stunde besser. Die Regulationsperformanz ist besonders in Spielen, die szenischen Charakter haben und/oder von Musik begleitet werden, sehr gut.

Ein praktisches Beispiel

Ein Beispiel ist das von mir modifizierte Kinderspiel Feuer, Wasser, Blitz. Dabei werden den Capoeira-Bewegungen Naturphänomene zugeschrieben. Die Kinder können so in synästhetischen Zusammenhängen die Bewegungen lernen und sind nicht auf Erklärungen und ständige Korrekturen angewiesen. Eine Geschichte wird erzählt und Naturphänomene treten auf. Die Kinder vollziehen die Bewegungen analog zu den jeweiligen Phänomenen. Aufmerksamkeit und Konzentration sind äußerst hoch und können lange aufrechterhalten werden, auch bei Kindern, denen eine Konzentrationsschwäche nachgesagt wird. Verbalisierungstechniken verstärken den positiven Zustand. In der Regel werden Lieder und Begriffe in der Capoeira auf Portugiesisch gelernt, die Naturphänomene können auf Wunsch aber auch in anderen Sprachen benannt werden.

Surplus Reality – psychodramatisches Element in der Capoeira

Neben der Integration von psychodramatischen Arrangements und Techniken in Spiele und Übungssequenzen wird in der Roda, dem Kreis der Capoeirista, eine Surplus Reality bzw. ein symbolspielhafter Erlebnisraum geschaffen. Spielt ein Pädagoge – zugleich erfahrener Capoeirista – mit einem Kind, so befinden sie sich im körperlichen Dialog. Charakteristisch für die Capoeira ist die Aktion-Reaktion-Interkation. Selbst während spektakulärer und akrobatischer Bewegungen versuchen die Spielpartner den Augenkontakt zu halten. Auf die Reaktion des Kindes wird gewartet, um diese dann zu erwidern. So kann das Kind das Gefühl der Kontrolle über die Situation behalten und sich selbst mit seinen Bewegungen in Szene bringen.

Der „So tun als ob“-Charakter dieses Symbolspiels lässt das Kind die Gefühle der Selbstwirksamkeit und der Allmacht genießen. Zugleich erfährt es die Existenz von Grenzen. Ein vermeintlicher Sieg oder eine vermeintliche Niederlage in der spielerisch-kämpferischen Auseinandersetzung können akzeptiert werden. Unterstützt durch die Musik kommen die Aspekte der Wirksamkeit, des Embodiment sowie der Synchronisation individuell, interpersonell und innerhalb der Gruppe zum Tragen.

Die methodischen Grundlagen bilden die für das Psychodrama konstant positive Therapeuten-Klienten-Beziehung, die Ressourcenaktivierung sowie das Tele-Konzept der Begegnung. Rückblickend auf die Beispiele der Capotherapy aus den Flüchtlingslagern scheinen die Erlebnisräume der Surplus Reality, in denen die Interaktion bei der Capoeira stattfinden kann, bedeutend. Gerade für Kinder, die reale Gewalterfahrungen gemacht haben oder die den Belastungen von Krieg, Flucht und Vertreibung ausgesetzt waren, sind sie wertvoll, um Vertrauen in die eigene Person und ihr Handeln zurückgewinnen zu können.